Wer darf eigentlich mitmachen bei der Digitalisierung? Jeder, finden die AWO Siegener Werkstätten und die Rittal Foundation, gemeinnützige Stiftung der Friedhelm Loh Group. Die digitale Zukunft gestalten, das dürfe nicht nur Aufgabe von wenigen, gut ausgebildeten Spezialisten sein, auch Menschen mit psychischen oder körperlichen Einschränkungen sollen an der digitalen (Arbeits)Welt teilhaben können. Dafür hat die Rittal Foundation den Siegener Werkstätten 20.000 Euro gespendet. Ein Werkstattbesuch.
Oft hat Dirk Röcher an (s)einem konventionellen Arbeitsplatz gesessen. Stuhl, Tisch, Handarbeit. Alles funktionierte analog. Seit einigen Tagen sieht sein Arbeitsalltag allerdings anders aus. Digitaler.
In der AWO Werkstatt am Siegener Garnisonsring ist durch Hilfe der Rittal Foundation ein sogenannter digitaler Pick-by-Light-Arbeitsplatz entstanden. Über Lichtsignale zeigt dieser Dirk Röcher an, welches Bauteil er aus den Fächern nehmen muss, um es dann zum Endprodukt, einer Kransteuerung, zusammensetzen zu können. Schrauben hierhin, Drähte dorthin. Missverständnisse ausgeschlossen. Denn der smarte Arbeitsplatz versteht viel von Fehlerkultur. „Schritt für Schritt“, erklärt Betriebsleiter Axel Wagenknecht, „führt das System von Beginn an durch den Produktionsprozess und dokumentiert dazu die Fertigungsschritte.“ Rüstzeug für eine Arbeitswelt, die nicht nur immer digitaler, sondern auch immer komplexer wird.
Das schenkt: der AWO-Werkstatt ein Instrument, das die Brücke zum ersten Arbeitsmarkt mit seinen, oft digital überwachten, Arbeitsprozessen schlägt, Kunden und Endabnehmern Qualitätsmanagement-geprüfte Sicherheit und den Arbeitnehmern mit psychischen oder physischen Beeinträchtigungen: eine Menge Selbstbewusstsein. Fertigungsleiter Lars Schröder muss nämlich, dem digitalen Helfer sei Dank, nicht ständig schulmeisterlich über die Schultern schauen, ob denn auch jede Schraube richtig sitzt – das regelt Dirk Röcher dank des neuen Systems ab jetzt selbstbestimmt.
20.000 Euro hat die Rittal Foundation, die gemeinnützige Stiftung der Friedhelm Loh Group, dafür an die Siegener Werkstätten gespendet. Denn auch, wenn, wie der stellvertretende AWO-Geschäftsführer Jens Hunecke erklärt, es längst strategisches Ziel sei, sich das Potenzial der Digitalisierung für Menschen mit Beeinträchtigungen nutzbar zu machen, so sieht die Realität leider anders aus. Denn auf die neuen Gegebenheiten der Digitalisierung sei die allgemeine Finanzierung von Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigungen nicht ausgelegt, erschwere demnach entsprechende Zukunftsinvestitionen wie etwa den Assistenz-Arbeitsplatz. Hier will die Rittal Foundation unterstützen. „Wenn die Welt digitale Wege geht, dann sollte jeder die Chance haben, darauf gehen zu können. Durch den Arbeitsplatz-Assistenten sind für die Menschen hier jetzt auch komplexere Arbeitsschritte möglich. Damit wird in die nachhaltige Teilhabe am Arbeitsleben investiert“, sagt Rainer Reissner, Geschäftsführer der Rittal Foundation.
Wie wichtig das ist, belegen nicht nur Studien. Auch das Team um Jens Hunecke berichtet aus Erfahrung, dass die Digitalisierung die Beschäftigungschancen von Menschen mit Beeinträchtigung auf dem ersten Arbeitsmarkt – z.B. durch technologische Unterstützung – erleichtert. Bereits der kurze Einsatz des digitalen Assistenten habe gezeigt, dass Mitarbeiter plötzlich auch kompliziertere, mehrstufige Montageaufgaben übernähmen. Und zwar voll Euphorie. „Man sieht praktisch, wie sie über ihre bisherigen Fähigkeiten hinauswachsen“, sagt Axel Wagenknecht.
Dirk Röcher stellt dafür den besten Beweis. Konzentriert arbeitet er ab, was ihm die Lichtimpulse anzeigen und der Bildschirm aufträgt. Technisch affin und völlig autark setzt er eine Steuerung nach der anderen zusammen. Später, wenn er seine Schicht beendet hat und der Nächste den neuen Arbeitsplatz testen will („die Mitarbeiter haben hier morgens vor Begeisterung Schlange gestanden“, wirft Lars Schröder ein), dann wird der digitale Arbeitsplatz vermutlich schon wieder etwas anders aussehen. Denn was wäre schon ein Assistent ohne Verständnis für die jeweils individuellen Bedürfnisse? Jedenfalls nicht der Richtige. Deshalb passt sich der Arbeitsplatz nach Eingabe des jeweiligen Mitarbeiterchips auf die persönlichen Erfordernisse an. Auch Rollstuhlfahrer können dann ohne Probleme ergonomisch arbeiten. „Digitalisierung“, sagt Jens Hunecke, „fördert Inklusion.“ Umso wichtiger sei die Spende der Rittal Foundation. „Denn dieser Weg führt Richtung Zukunft.“